Wir bringen Licht ins Dunkel

Wir bringen Licht ins Dunkel

Wir bringen Licht ins Dunkel

Andreas Pfeffer über Berufung, Tradition und die Freude in und an der analogen Welt
Andreas Pfeffer ist der Vizepräsident des Bundesverbands Deutscher Schausteller und Marktkaufleute (BSM). Der gebürtige Straubinger ist Schausteller in fünfter Generation und seit 2004 am Gillamoos mit Schießwagen und Zuckerbixn.

 

Wir vereinbaren ein Treffen im Biergarten. Anderl kommt auf die Minute pünktlich. Doch kaum sitzen wir am Tisch, klingelt schon sein Telefon. Er vertröstet den Anrufer auf später. „Jetzt schalt ich es ab, sonst bekommen wir keine Ruhe“, sagt der Anderl und lächelt sein Lausbubenlächeln. Anderl kämpft an vorderster Front für seine Zunft: die Marktkaufleute und Schausteller. Deswegen bewegt er sich auf dem Berliner Parkett, spricht mit den wichtigsten Entscheidungsträgern der Republik und versucht sie für die Anliegen des Reisegewerbes zu gewinnen. Trotzdem nimmt er sich ausgiebig Zeit für das Gespräch mit der Bürgerinfo Redaktion, schließlich weiß er sich hier unter Freunden, wenn auch (grad) kein Gillamoos ist.

Was bedeutet es, im Reisegewerbe zu arbeiten?

Das Marktgewerbe ist eine der ältesten Wirtschaftsformen der Menschheitsgeschichte, schon die alten Römer hatten beispielsweise eine ausgeprägte Marktkultur. Viele unserer heutigen Feste wurzeln im Mittelalter, in christlichen genauso wie in säkularen Veranstaltungen. Über die Jahrhunderte ist die heutige Erscheinungsform gewachsen. Volksfeste und Jahrmärkte sind Teil der lokalen, regionalen und nationalen Kultur und Identität. Was wir machen ist kein normaler Beruf – es ist eine Berufung, eine Leidenschaft. Als Schausteller wird man geboren oder man heiratet ein, alles andere kommt eher selten vor. Die Reisendenkultur muss einem wohl im Blut liegen. Wir sind immer unterwegs, nur außerhalb der Saison beziehen wir unser Winterquartier. Zu den Grundvoraussetzungen gehört unter anderem Flexibilität, Risikobereitschaft und Durchhalte­vermögen. Wir leben von Saison zu Saison, es gibt nur wenig Vorsorge, wie beispielsweise Rentenabsicherung. Schausteller bleibt man halt in der Regel, bis man in die Grube fällt. Erlebt haben wir schon viel, aber ein ganzes Jahr ohne Einnahmen – ich denke, jeder kann sich vorstellen was das für uns bedeutet. Es ist schon in normalen Zeiten ein hartes Geschäft. Selbst wenn es gut läuft, sind unsere Gewinnspannen nicht so hoch wie an der Frankfurter Börse (lacht). Instandhaltung, Anfahrt, Auf- und Abbau, Personal, TÜV und andere Abnahmen, Wareneinsatz, dazu kommen ständig steigende Ausgaben aufgrund der Verschärfung der behördlichen Auflagen, zum Beispiel in Sachen Um­weltschutz und Sicherheit.

Lohnt sich der ganze Aufwand überhaupt?

Es gibt bestimmt viele Branchen, in denen der Broterwerb wesentlich leichter fällt, aber darauf kommt es uns nicht an. Unser Metier geht weit über das Geld verdienen hinaus, weil sich Jahrmärkte eben ganz stark auf der emotionalen Ebene abspielen. Wir arbeiten, um die Leute zu unterhalten, ja mehr noch, um sie glücklich zu machen. Bei uns treffen sich Menschen, über alle sozialen Barrieren hinweg, noch ganz analog! Völlig egal, wo sie herkommen, wie viel sie verdienen oder wie alt sie sind. Für die Einsa­men sind wir genauso da, wie für die vom Glück benachteiligten. Wir zaubern den Kindern ein Lächeln ins Gesicht und die Oma wird bei uns selber wieder zum Kind. Das ist unsere Leidenschaft und das gibt uns viel zurück. Diese Freude ist das Lebenselixier für uns Schausteller.

Was vermisst du derzeit am Meisten?

Ganz klar: die Leute. Manche kennt man vom Kinderwagen bis zur Bahre, andere haben mit meinem Großvater schon das ein oder andere Maßerl über den Durscht getrunken. Es sind Verbindungen, die Generationen überdauern. Unser Leben spielt an temporären, magischen Orten, die unser Zuhause sind. Jeder Platz hat seinen eigenen Charakter, überall trifft man bestimmte Freunde und Familie. Man gehört zur jeweiligen Festfamilie dazu, wie zum Beispiel am Gillamoos. Da weiß sogar der Postbote, zu welchem Stand er meine Pakete bringen muss.

Als ich als junger Bub das erste Mal allein im Wagen meiner Tante Ilse ausgeholfen hab, kam ein Besucher an den Stand und fragte, wo denn die Tante sei. Ich fragte, ob er die Monika meinte, schließlich kannte ich ihn nicht und die Tante Ilse war ja meine Tante, nicht seine. Er meinte aber mit Nachdruck: „Nein, die Tante Ilse!“ Als Tante Ilse zurückkam und ich ihr die Geschichte vom fremden Mann erzählte, hat sie gelacht und mich aufgeklärt. Das ist eben bei uns ganz normal, du kennst viele Besucher und noch mehr Besucher kennen dich. Da steht ein junger Vater am Stand und sagt: „Anderl kennst mi nimma, ich bin der Gloane, der zum ersten Mal bei dir geschossen hat!“ Viele erkenne ich tatsächlich wieder, auch wenn ich mich freilich nicht an jede Situation erinnern kann. Aber es ist schon ein tolles Gefühl, wenn du weißt, dass der Junge, der grad am Schießen ist, genauso aussieht und mit dem gleichen Eifer dabei ist, wie sein Vater vor 25 Jahren. Der Kontakt mit den Besuchern ist für mich essentiell. Für die jeweilige Spielzeit sind wir Teil deren Lebens. Wir unterhalten uns, du erfährst ihre Familiengeschichte oder andere private Geschichten. Was sie in den restlichen 360 Tagen halt so erleben. Das macht es aus und das unterscheidet uns zum Beispiel von Freizeitparks.

Es ist also ein sehr altes und schönes Gewerbe ...

... ja, es ist diese einzigartige Atmosphäre auf dem Platz. Da wirkt der enorme Reichtum unserer Kultur, der eine beispiellose Freude in den Alltag der Menschen hineinzutragen vermag. Bei freiem Eintritt bieten wir eine Welt vielfältiger Aktivitäten jenseits des Alltags für die gesamte Bevölkerung: Unter­haltung und Vergnügen, aber auch die Möglichkeiten, individuelle Fantasien, Wunschvorstellungen und körperliche Grenzerfahrungen spielerisch zu erproben und zu verwirklichen, das alles in einem geschützten Raum. Besucher erleben diese Welt mit allen Sinnen, von kunstvoll gestalteten Fassaden, über Schauspiel, Musik, dem Duft und Geschmack frisch gebrannter Mandeln bis hin zu atemberaubendem durch die Luft Wirbeln in den Fahrgeschäften. Obwohl wir Schausteller zu jeder Zeit mit der gesellschaftlichen Entwicklung gehen, was den Zeitgeschmack betrifft, scheint es doch ein grundsätzliches Bedürfnis des Menschen zu geben, auf diese Weise dem Alltag zu entfliehen und das Leben völlig unbeschwert in vollen Zügen zu genießen. Wir sind ein Antidepressivum, vielleicht sogar das Beste. Wir bringen Licht in dunkle Alltage. Das scheint tatsächlich immer schon so zu gewesen sein (lacht). Auch die derzeitige Krisenzeit wird daran nichts ändern. Papst Johannes Paul II. sagte einmal: „Es ist keine Blumenwiese zu schön, um nicht ein Karussell darauf zu bauen.“



Veröffentlicht von Carolin Wohlgemuth , 19.06.2020
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